Der Psoasmuskel / "Muskel der Seele"

"Movement is the song of the body"

                                                                                                                             Vanda Scaravelli

8. August 2016

 

"Movement is the song of the body"

Vanda Scaravelli

 

Der Psoasmuskel – „Muskel der Seele“ (Teil 1)

 

Der Psoasmuskel wird auch großer Lendenmuskel genannt. Seine Vitalität beeinflusst auf der körperlichen Ebene die Aufrichtung und Stabilität unseres Skeletts und auf der emotionalen Ebene unser Gefühl von Verbundenheit mit uns selbst sowie von Sicherheit und Verankerung im Leben  – deshalb „Muskel der Seele“.

 

Wo befindet sich der Psoasmuskel?

 

Der Psoasmuskel liegt in der Körpermitte.

 

Er entspringt von den seitlichen Wirbelkörpern und Bandscheiben des 12. Brustwirbels und 1.-4. Lendenwirbels. Das ist der oberflächliche Anteil. Der tiefe Anteil entspringt von den Querfortsätzen der Lendenwirbelsäule 1 bis 5. Die Ursprünge des Psoasmuskels sind wesentlich für seine anatomischen Eigenschaften. Der weitere Verlauf des großen Lendenmuskels ist durch die Beckenöffnungen bis zu  einem kleinen Vorsprung am Oberschenkelhals, dem sogenannten kleinen Rollhügel.  Er ist der einzige Muskel, der direkt von der Wirbelsäule zu den Beinen zieht.

 

 

Wie wirkt der große Lendenmuskel auf der körperlichen Ebene?

 

 

 

Die Länge und Beweglichkeit des Lendenmuskels schafft Platz in der Körpermitte. Man kann sich den Psoasmuskel bildlich wie das Dach eines Zirkuszeltes vorstellen, das sich im Bauchraum ausbreitet und Raum schafft .

 

Gleichzeitig dient der Muskel als Gleitschiene für die Nieren. Eine gesunde Niere legt bei jeder Einatmung eine Strecke von 3-4 Zentimetern nach unten zurück, pro Tag etwa einen Kilometer.

 

Einige Fasern des Psoasmuskels sind auch mit dem Zwerchfell verbunden. Somit wirkt ein vitaler großer Lendenmuskel zusammen mit dem Zwerchfell wie eine hydraulische Pumpe. Diese Pumpe sorgt dafür, dass der venöse Rückfluss aus den Beinen gut funktioniert, die Eingeweide bei jedem Atemzug massiert und die Körperflüssigkeiten gleichmäßig verteilt werden.

 

Im Stehen beugt der große Lendenmuskel den Oberkörper nach vorne, im Liegen hebt er den Rumpf an.

 

Bei einseitiger Anspannung ermöglicht er eine seitliche Streckung der Wirbelsäule.

 

Last not least ist der große Lendenmuskel der kräftigste Beuger des Hüftgelenks. Außerdem ist er bei der Drehung der Hüfte nach außen aktiv.

 

Bei jedem Schritt hebt er unser Bein gegen die Schwerkraft und stabilisiert gleichzeitig unsere Lendenwirbelsäule.

 

Sonst wäre das Gehen eine ziemlich wackelige Angelegenheit!

 

 

 

 

 

Zusammenfassung der Funktionen des Psoasmuskel:

 

  • Schafft Raum in der Körpermitte

  • Massiert die Eingeweide im Bauchraum

  • Gleitschiene für die Nieren

  • Hydraulische Pumpe für Körperflüssigkeiten und Venen

  • Stärkster Beuger in der Hüfte

  • Stehend beugt er den Rumpf, liegend hebt er den Rumpf

  • Hilft bei der Außendrehung der Hüfte

 

 

Warum heißt der Psoasmuskel auch „Muskel der Seele“?

 

 

 

Einige Faseranteile des Psoasmuskels sind mit dem Zwerchfell verbunden. Das Zwerchfell wiederum ist direkt mit unserem ältesten Gehirnareal, dem Reptilienhirn verbunden. Bei Stress beschleunigt sich die Atmung oder stockt für einen Moment. Diese Reflexe übertragen sich auch auf den Psoasmuskel. Ein akutes Trauma oder andauernder Stress wird im Psoasmuskel gespeichert. Wie kann das sein? Der Psoasmuskel ist ein Laufmuskel. Werden Stresshormone ausgeschüttet, dann erhöht sich die Spannung im Psoasmuskel, er wird aktiviert zur Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Beides ist meistens nicht die passende Antwort auf einen Streit mit dem Partner, auf mobbing, auf gefühlte Überlastung im Beruf, auf den täglichen Stau im Berufsverkehr oder auf die Unzufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen. Der große Lendenmuskel reagiert auf chronischen Stress mit „Einfrieren“, wird steif und unbeweglich. Neben psychischen Faktoren kann auch ein Mangel an Bewegung zur Verkürzung des großen Lendenmuskels führen.

 

 

 

Was passiert bei zu viel Spannung im großen Lendenmuskel?

 

 

 

Eine chronische Verspannung des großen Lendenmuskels sorgt dafür, dass wir die Hüfte nicht mehr ausreichend strecken können.

 

 

 

Ein kleiner Test:

 

Legt euch mit dem Rücken mit ausgestreckten Beinen auf einen Tisch ganz nah an die Kante. Lasst ein Bein seitlich überhängen, beugt das Knie der anderen Seite und nehmt es in die gefalteten Hände. Zieht das Knie, das ihr in den Händen haltet, Richtung Brustkorb und lasst das andere Bein Richtung Boden sinken. Wenn sich die Hüfte nicht strecken lässt, also das Bein partout nicht Richtung Boden sinken kann, dann ist der Psoasmuskel verkürzt.

 

 

 

Wenn ihr bei einer Dehnung der Hüfte in die Streckung Schmerzen im unteren Rücken bekommt, dann ist der große Lendenmuskel auch verspannt.

 

Ein weiteres Zeichen ist ein ausgeprägtes Hohlkreuz, eine unbewegliche Hüfte sowie Schmerzen in der Leistengegend oder in den Knien.

 

Ein einseitig verspannter Psoasmuskel kann eine Beckenverdrehung und damit einhergehend durch die Kompensation der Wirbelsäule auch Rückenschmerzen und Nackenbeschwerden verursachen.

 

Durch die Einengung des Bauchraums bei zu starker Spannung des großen Lendenmuskels kann sich auch die Brustwirbelsäule nicht mehr ausreichend aufrichten. Die Brustwirbelsäule wird mit der Zeit steif und die Halswirbelsäule schiebt sich als Ausgleich nach vorne.

 

 

Wie wird ein verspannter Psoasmuskel wieder vital und beweglich?

 

 

 

Die spontane Antwort wäre: kräftigen und dehnen.

 

Da habt ihr aber die Rechnung ohne den großen Lendenmuskel gemacht. Er wird euch einen Vogel zeigen und beleidigt sein.

 

Ich meine damit, dass ein chronisch verspannter Muskel es grundsätzlich nicht mag, wenn man an ihm herumzerrt.

 

Eine mechanische Yogapraxis, bei der wir aus Ehrgeiz schwierige Haltungen einnehmen wollen, ist wenig hilfreich. Das führt meistens zu Ausweichbewegungen und fixiert die verkrampften Strukturen.

 

Besser ist es, in unserem Fall den großen Lendenmuskel erst einmal ein bisschen zu hätscheln und zu verwöhnen, dann kann sich die Starre und der Stress, der im Muskel gespeichert ist, besser auflösen und entspannen.

 

Deshalb: Erst einmal eine Wärmflasche machen und neben die Yogamatte legen.

 

 

Übungsprogramm, um einen verkürzten Psoasmuskel zu entspannen:

 

 

 

Aufwärmen:

 

Wärme dich mit irgendeiner Aktivität auf, die mit laufen zu tun hat, auch hüpfen ist gut. Einmal um den Block laufen, auf der Stelle laufen (die Knie dabei hoch ziehen), tanzen, hüpfen auf zwei Beinen (hüpfen ist gut für die Faszien, aber davon ein anderes Mal), Seil springen, was dir einfällt.

 

Du kannst auch Sonnengrüße machen, aber bitte soft, nicht zu weit in die Streckungen gehen, einfach nur aufwärmen.

 

 

 

Erster Schritt:

 

Rückenlage einnehmen, die Füße anstellen.

 

Legt die Fingerspitzen 2-3 Zentimeter seitlich der Mittellinie unterhalb des Nabels auf und versucht, mit den Fingerspitzen in die Tiefe zu dringen.

 

Hebt das rechte Bein an. Vielleicht könnt ihr in der Tiefe die Anspannung des Psoasmuskels spüren. Ich gebe zu, dass das sehr schwierig ist, weil der Psoas tief unter den Bauchmuskeln versteckt verläuft. Das Gleiche mit dem linken Bein ausprobieren.

 

 

 

 

 

Zweiter Schritt:

 

Ardha Apanasana / Halbe Knie-zur-Brust Haltung

 

Die erste sanfte Dehnung.

 

Leg dich auf den Rücken, beuge die Knie und stelle deine Füße hüftbreit möglichst parallel nahe ans Becken. Bring deine Aufmerksamkeit zur Auflagefläche des Beckens und des unteren Rückens auf der Unterlage und lass dich tief in den Boden sinken. Jetzt nehme dein rechtes Knie in die gefalteten Hände und ziehe es sanft zum Brustkorb. Atme in deine Hüften und lass das Becken stabil liegen ohne zu kippen. Die Rückseite des Beckens wird weich und alle Spannung schmilzt wie Vanilleeis in der Sonne.

 

Dann beginne ganz langsam das gegenüberliegende Bein auszustrecken. Lass das Bein auf der Ferse ausgleiten, aber lass das Becken ganz stabil liegen. Erlaube deiner Lendenwirbelsäule nicht, sich von der Unterlage weg zu wölben. Wenn du das Becken stabil liegen lassen kannst, wird sich der große Lendenmuskel beim ausstrecken des Beines verlängern. Wenn du das Becken kippen lässt, wird sich dein unterer Rücken in ein Hohlkreuz wölben, aber der Psoasmuskel bleibt verkürzt. Schmiege das rechte Bein noch ein bisschen weiter zum Brustkorb. Der Fuß des ausgestreckten Beines ist aufgestellt, so als wäre am Fußende eine Wand.

 

Versuche, überall im Körper Spannung zu reduzieren. Die Gesichtszüge werden weich, die Stirn glatt, die Lippen, der Unterkiefer. Löse Spannung aus den Schultern, dem oberen Rücken, dem Bauch, dem Beckenboden und den Hüftgelenken.

 

Nach ca. 2-3 Minuten löse das rechte Bein aus den gefalteten Händen und wechsle die Seite.

 

 

 

 

 

Dritter Schritt:

 

Entspannung des Psoasmuskels durch Akupressur im Bauchraum.

 

 

 

Setze dich in den Fersensitz.

 

Bilde mit den Händen Fäuste und lege diese rechts und links der Körpermitte unterhalb des Nabels auf. Strecke die Wirbelsäule und beuge dich nach vorne. Lege die Stirn auf den Boden oder auf einen Klotz. Lass den Druck deiner Fäuste auf den Bauch und ganz in der Tiefe auf den Psoasmuskel zu. Atme gleichmäßig weiter und versuche den Körper und Geist zu entspannen. Lass den Druck immer tiefer sinken.

 

 

 

Setze dich zurück in den Fersensitz, schließe die Augen und spüre, wie sich Entspannung und wohlige Wärme in deinem Bauchraum ausbreitet.

 

 

 

Mayurasana /Der Pfau

 

Mit dem Pfau bekommst du einen noch größeren Massageeffekt.

 

Setze dich in den Fersensitz. Bringe die Knie auseinander und lege die Hände aneinander und zwischen die Knie, die Fingerspitzen zeigen zum Körper, die Arme sind gestreckt. Beuge deine Ellbogen, verlagere dein Gewicht nach vorne und bringe deine Ellbogen neben den Nabel. Beuge dich weiter nach vorne und strecke die Beine nach hinten aus.

 

 

 

 

 

 

Im klassischen Pfau sind die Füße geschlossen und die Beine in der Luft. Für eine tiefe Bauchmassage reicht diese Haltung aber aus.

 

Nach 5 – 8 Atemzügen setze dich wieder in den Fersensitz, schließe die Augen und spüre nach.

 

 

 

Vierter Schritt:

 

Lege dir noch einmal die Wärmflasche bereit.

 

Du brauchst außerdem eine Rolle und einen Klotz. Setze dich auf die Rolle und platziere dein Kreuzbein möglichst weit vorne. Dann lege dich auf den Rücken und platziere den Klotz hochkant unter deinen Hinterkopf. Es sollte möglichst viel Rücken von der Rolle unterstützt sein. Hebe dein Becken ein bisschen an und versuche, das Kreuzbein möglichste weit nach unten ans Ende der Rolle zu schieben.

 

Stelle dein linkes Bein auf, nehme deinen rechten Fuß in die rechte Hand und platziere den Fuß mit dem Rist auf dem Boden. Es kann sein, dass der Fuß erst einmal ein bisschen krampft. Das ist normal und vergeht, wenn du erst einmal die Seiten ein paar Mal wechselst. Wenn sich dein Fußrist an die Streckung gewöhnt hat, versuche in der Haltung zu bleiben und dein Knie Richtung Boden sinken zu lassen, so dass sich die Hüfte strecken kann. Lege die Wärmflasche auf die gestreckte Hüfte und lasse sie dort für 3 – 5 Minuten liegen.

 

Löse die Haltung langsam auf, reibe und massiere deine warme Hüfte etwas und wechsle dann die Seite.

 

 

 

Zum Abschluss lege dich auf den Rücken, ziehe beide Knie Richtung Bauch und gleichzeitig den Kopf Richtung Knie. Bleibe für 3 – 5 Atemzüge und lege dich entspannt in die Rückenlage. Spüre nach.

 

 

 

Fünfter Schritt:

 

Du brauchst einen Gurt.

 

Lege dich in die Bauchlage.

 

Ruhe erst einmal in der Bauchlage mit der Stirn auf den übereinander gelegten Unterarmen.

 

Nehme den Gurt und lege ihn um deinen rechten Fuß. Ziehe den Fuß Richtung Gesäß und strecke die Hüfte dabei so weit, dass sich die Dehnung noch sehr angenehm anfühlt. Nimm den Gurt überkreuz und nach vorne.

 

Wir üben jetzt eine sehr effektive Technik. Sie nennt sich Postisometrische Relaxation, abgekürzt PIR. Wenn ich von allen Übungen nur eine einzige empfehlen dürfte, dann wäre es diese.

 

Schiebe deinen Fuß sanft weg von dir, so als wolltest du das Bein ausstrecken. Halte diese Spannung und zähle langsam bis 10. Löse die Spannung und gönne dem großen Lendenmuskel eine Pause von ca. 30 Sekunden bis 1 Minute. Übe das abwechselnde spannen und lösen ca. 5 Mal. Versuche, die Leiste immer weiter werden zu lassen. Du wirst eine deutliche Streckung spüren. Dein Knie wird sich gefühlt immer weiter zum unteren Mattenrand bewegen.